Entstehung und dynamische Veränderung eines Grundpfeilers demokratischer Gesellschaften durch Konvergenz
Alles Lüge? Erodiert das Vertrauen zwischen Medien und Publikum? Schwindet die allgemeine Glaubwürdigkeit von Presse und Rundfunk und inwieweit ist damit ein Demokratiedefizit verbunden? In welchem Maße sind Kritik und Skepsis doch berechtigt und sogar angebracht?
Die etablierten Medien sind unter Druck geraten: Demonstranten skandieren »Lügenpresse«, Online-Foren werden mit aggressiven Kommentaren geflutet und das Internet für die Verbreitung von Verschwörungstheorien genutzt. Seriöse Quellen und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in diese Quellen erscheinen notwendiger denn je, da Vertrauen in öffentliche Kommunikation eine unabdingbare Voraussetzung für das Funktionieren von Demokratien ist. Ohne Vertrauen in öffentliche Kommunikation, in die kommunizierten Inhalte und die Institutionen, die diese Inhalte verbreiten, ist eine demokratische Willensbildung nicht möglich.
Nicht erst in den letzten Jahren interessiert sich die Kommunikationswissenschaft für diese in Demokratien essenzielle Funktionsachse – das Themenfeld »Medienglaubwürdigkeit, Medienvertrauen und Medienskepsis« sowie die jeweiligen Desiderata werden in der Kommunikationswissenschaft seit Langem diskutiert. Jedoch hat die sogenannte »Lügenpresse«-Debatte der letzten Jahre eine gänzlich neue Dynamik erzeugt, die Journalisten, Wissenschaftler und politische Akteure mit neuen Herausforderungen konfrontiert.
Trotz einer Vielzahl von Forschungserkenntnissen mangelt es im o. g. Forschungsfeld an einem kohärenten Framework, das Vertrauen in öffentliche Kommunikation genauer spezifiziert (z. B. anhand spezifischer Vertrauenssubjekte, wie Journalisten, bzw. -objekte, wie Sendungen oder Inhalte) und die Ursachen sowie die Folgen von Vertrauen ergründet. Vertrauensverletzungen führen zu dysfunktionalem Verhalten, z. B. zur Unterstützung von populistischen Parteien, Politikverdrossenheit sowie der Ablehnung der Demokratie an sich. Vertrauen in öffentliche Kommunikation ist auch im Zuge der Digitalisierung und Verlagerung öffentlicher Kommunikation jenseits traditioneller Medien ein zentrales Forschungsthema geworden.
Wissenschaftler des Instituts für Publizistik der JGU untersuchen die vielfach diagnostizierte, aber nicht hinreichend belegte und erklärte Vertrauenserosion. Die Studie differenziert zwischen mehr oder weniger berechtigten sowie völlig unberechtigten Vorwürfen gegen die »Mainstream-Medien« und fragt nach Zusammenhängen zwischen Medienskepsis, Mediennutzung, politischer Einstellung sowie Verschwörungsmentalität. Dabei stellt das Forschungsprojekt drei Gruppen von Forschungsfragen in den Mittelpunkt:
- Wie entwickelt sich das Vertrauen in öffentliche Kommunikation im Allgemeinen und das Medienvertrauen im Speziellen in Deutschland langfristig? In welchen Gruppen lässt sich eine Vertrauenserosion feststellen und für welche Menschen ein Vertrauensanstieg?
- Welche demographischen und individualpsychologischen Ursachen hat Vertrauen in öffentliche Kommunikation im Allgemeinen und Medienvertrauen im Speziellen? Welche institutionellen Ursachen (z.B. Verschränkung von Politik und Medien) und kommunikativ-inhaltlichen Ursachen (z. B. verzerrte Berichterstattung über Konflikte) beeinflussen Vertrauen in öffentliche Kommunikation? Inwieweit tragen „Fake News“ und Verschwörungstheorien im Internet zu einer Vertrauenserosion bei? Und wie kann einer etwaigen Vertrauenserosion kommunikativ, institutionell oder politisch begegnet werden?
- Welche Konsequenzen hat ein Vertrauensverlust für Medien (z. B. Abwendung von traditionellen Nachrichtenangeboten, Zuwendung zu alternativen Angeboten), Politik (z. B. Misstrauen in politische Entscheidungsträger und politisches System, Wahl populistischer Parteien) und Gesellschaft (z. B. sinkendes interpersonales Vertrauen, Polarisierung gesellschaftlicher Diskurse)? Wie wirkt sich steigendes Vertrauen in diesen Bereichen aus?
Zur Beantwortung dieser Fragen greifen die Autoren der Studie auf eine Kombination klassischer sozialwissenschaftlicher Methoden und innovativer Instrumente zurück: eine (fortgeführte) bevölkerungsrepräsentative Trendbefragung wird in mehreren Wellen (auf drei existierende Wellen werden zwei neue aufgesetzt) alle drei Forschungsfragen beantworten. In vertieften Extremgruppenbefragungen werden Personen befragt, die der Demokratie und ihren Institutionen misstrauen. Experimentelle Untersuchungen dienen der Kausalprüfung der gefundenen Zusammenhänge aus den bevölkerungsrepräsentativen Umfragen bzw. den Extremgruppenbefragungen. Automatisierte Inhaltsanalysen sollen die Netzkommunikation in Online-Kommunikaten (z. B. Kommentaren auf Nachrichtensites, Facebook-Posts) untersuchen, Vertrauens- und Misstrauensbekundungen im Netz aufspüren und die Bedingungen identifizieren, die erstere begünstigen und letztere minimieren.
Die Studie soll der Beginn eines dauerhaften »Vertrauensmonitorings« werden.
Kontakt
Univ.-Prof. Dr. Tanjev Schultz Johannes Gutenberg-Universität Mainz Institut für Publizistik D 55099 Mainz |
Tel. +49 6131 39-39305 |
PD Dr. Nikolaus Jackob Johannes Gutenberg-Universität Mainz Institut für Publizistik D 55099 Mainz |
Tel. +49 6131 39-25763 |
Jun.-Prof. Dr. Marc Ziegele Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Institut für Sozialwissenschaften Universitätsstraße 1 D 40225 Düsseldorf |
Univ.-Prof. Dr. Oliver Quiring Johannes Gutenberg-Universität Mainz Institut für Publizistik D 55099 Mainz |
Tel. +49 6131 39-25222 |
Univ.-Prof. Dr. Christian Schemer Johannes Gutenberg-Universität Mainz Institut für Publizistik D 55099 Mainz |
Tel. +49 6131 39-29373 |
Viola Granow Johannes Gutenberg-Universität Mainz Institut für Publizistik D 55099 Mainz |
Tel. +49 6131 39-29346 |
Downloads
Weiterführende Links
» Website des Projekts
» Übersicht Pressestimmen und Medienresonanz
» Website des Forschungs- und Lehrbereichs »Dynamiken von Gesellschaft und Kommunikation« am Institut für Publizistik der JGU
» Website des Forschungs- und Lehrbereichs »Kommunikationswissenschaft« am Institut für Publizistik der JGU
» Website des Journalistischen Seminars am Institut für Publizistik der JGU
Bild: eigene Darstellung